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36. Bundesparteitag: Eröffnungsrede mit Rechenschaftsbericht

Prof. Dr. Klaus Buchner, Bundesvorsitzender der ödp 36. Bundesparteitag: Eröffnungsrede mit Rechenschaftsbericht In seiner Eröffnungsrede mit Rechenschaftsbericht geht Prof. Dr. Klaus Buchner auf das 25-jährige Bestehen und die Erfolge der Partei ein. Schwerpunkte der bisherigen Arbeit des Bundesvorstandes sind nach dem zentralen Thema Sozial- und Familienpolitik die Grüne Gentechnik, der Klimawandel und die Europäische Verfassung.

von Prof. Dr. Klaus Buchner Prof.

Dr. Klaus Buchner
Bundesvorsitzender der ödp
Rede mit Rechenschaftsbericht
Höxter 21. April 2007

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT

Liebe Delegierte, liebe Gäste,

dieses Jahr feiern wir das 25-jährige Bestehen der ödp. Ihre Entwicklung zeigt durchaus Parallelen zu der eines Menschen: In den ersten Jahren hatten wir unseren Vater Herbert Gruhl, der uns fürsorglich, aber nicht immer demokratisch geführt hat. Dann kamen wir in die Flegeljahre, als wir uns von unserem Ziehvater trennten. Oft haben junge Leute mit 25 bereits eine oder zwei Ehen hinter sich. Der ödp wäre es mit der Familienpartei beinahe ebenso ergangen. Aber die Familienpartei wollte nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung bleiben und ist noch vor der Hochzeit wieder ausgezogen.

Sicher haben unsere Gründungs-Mütter und -Väter damit gerechnet, dass wir nach 25 Jahren längst im Bundestag sitzen, vielleicht sogar an einer Bundesregierung beteiligt sind. Das ist zwar nicht der Fall, und doch haben wir mit unseren zahlreichen kommunalen Mandaten Verantwortung übernommen und konnten so manches durchsetzen. Es ist uns sogar gelungen, den bayerischen Landtag und die bayerische Regierung zu verkleinern, obwohl wir gar nicht im Landtag sitzen! Vor kurzem hat die CDU die Familienpolitik wiederentdeckt, die sie so lange vernachlässigt hat. Sicherlich wäre es viel besser gewesen, wenn sie in unser Programm geschaut hätte, denn die Situation vieler Kinder ist bedrückend! Familienministerin von der Leyen will zwar Familien mit Kindern fördern. Aber was jetzt diskutiert wird, geht nach dem alten Grundsatz: „Wer hat, dem wird gegeben”. Die Wohlhabenden werden gefördert, den Bedürftigen wird noch Geld weggenommen. Denn es bestehen allen Ernstes Pläne, den Ausbau der Krippenplätze durch Einsparungen beim Kindergeld zu finanzieren. Krippenplätze erleichtern es zwar den Eltern eine Arbeit anzunehmen. Wichtiger wäre es jedoch, die Familien zu unterstützen, die keine Arbeit finden können, oder wo sich ein Elternteil bewusst Zeit für die Erziehung der Kinder nimmt und dafür auf ein Einkommen verzichtet. Die Regierung will jetzt diesen Familien noch das Kindergeld kürzen! Hier ist das ödp-Konzept des Erziehungsgehalts nicht nur sozialer, sondern letzten Endes auch für die Entwicklung unserer Gesellschaft wichtig. Denn eine gute Ausbildung kostet immer mehr Geld - Schulgeld, Büchergeld, Kosten für die Fahrten zur Schule, Studiengebühren und und und ... Das können sich immer weniger Eltern leisten. Heute lebt jedes 7. Kind in Deutschland von der Sozialhilfe! Es ist eine Schande, dass wir Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland holen müssen, weil wir die Ausbildung unserer eigenen Jugend grob vernachlässigen.
Die Sozial- und Familienpolitik ist zwar ein zentrales Thema für uns. Jedoch lag der Schwerpunkt der bisherigen Aktivitäten des Bundesvorstands, der vor 5 Monaten neu gewählt worden ist, bei der Ökologie und Demokratie.
Inhaltlich hat sich der Bundesvorstand in dieser Zeit auf 3 Gebiete konzentriert: Erstens auf die Grüne Gentechnik. Sie ist nicht so harmlos, wie die Industrie uns glauben machen will. Für die Zulassung neuer Pflanzen sind keine Langzeituntersuchungen vorgeschrieben. Und auch bei den kurzzeitigen Tests werden viele der möglichen Gesundheitsschäden überhaupt nicht untersucht. Die Gen-Industrie handelt nach dem Grundsatz: "Wir wissen nicht, was wir tun, aber wir fangen schon einmal an."
Die Industrie behauptet ständig, es gäbe ein Nebeneinander von konventionellen und gentechnisch veränderten Pflanzen. Aber Pollen und Bienen halten sich nicht an den Sicherheitsabstand von wenigen Metern; sie fliegen viele Kilometer weit. So werden nicht nur genmanipulierte Pflanzen ausgekreuzt; auch der Honig wird unverkäuflich, wenn er gentechnisch verseucht ist.
Seit kurzem werden die Imker auch durch ein großes Bienensterben in ihrer Existenz bedroht. Neueste Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Tiere nicht durch eine Krankheit aussterben, sondern schlicht verhungern, weil die Arbeitsbienen durch die Mobilfunkstrahlung ihre Orientierung verlieren und nicht mehr zu ihrem Stock zurück finden. Sowohl beim Mobilfunk, als auch bei der Grünen Gentechnik darf die Industrie produzieren und verkaufen, obwohl deutliche Hinweise darauf existieren, dass Menschen an ihrer Gesundheit und an ihrem Eigentum Schaden nehmen. Es handelt sich um einen Feldversuch an Millionen von Menschen - im klaren Widerspruch zu Art. 2,2 des Grundgesetzes und Artikel 174 des EG-Vertrags, die Risikovorsorge zur verbindlichen Auflage machen.
Das alles ist nicht Folge und Ausdruck einer demokratischen Marktwirtschaft, sondern kapitalistische Ausbeutung in Reinkultur. Sie hat die Bürger, die in einer Demokratie die Handelnden sein sollten, zu Objekten kommerzieller Interessen gemacht, sie zur Ware degradiert. Wir erleben die Demokratie nicht mehr als Herrschaft des Volkes, sondern als Diktatur der Konzerne - ausgeübt mit staatlicher Beihilfe.
Die ödp stellt sich dem entgegen. Bei der Gentechnik konnten wir gute Erfolge verbuchen. Der Bayerische Landesvorstand und Herr Steffen Scholz vom Bundesvorstand haben durch Demonstrationen und geschickte Pressearbeit erreicht, dass in Bayern ein Drittel der Flächen, die für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen angemeldet waren, zurückgezogen wurden. Zuvor haben Frau Cornelia Schmidt vom Bundesvorstand und Frau Christiane Lüst in zahlreichen Veranstaltungen viele Bauern auf die gesundheitlichen Gefahren und wirtschaftlichen Risiken durch die Grüne Gentechnik hingewiesen. Wir haben viel erreicht, wir lassen uns und unsere Umwelt nicht ver - Merkeln!
Das zweite zentrale Thema im Bundesvorstand ist der Klimawandel. Die CDU hat nach den Worten ihres Generalsekretärs die Ökologie entdeckt; und die Bundeskanzlerin macht auf internationalen Konferenzen den Eindruck, als setze sie sich entschieden für den Schutz unseres Klimas ein. Aber, Frau Bundeskanzlerin, was tun Sie wirklich? Jetzt, da Sie könnten, schreiben Sie nicht einmal die Abgaswerte für Autos vor, die Sie selbst vor 10 Jahren gefordert haben. Und Sie haben zugelassen, dass in Deutschland 45 neue Kohlekraftwerke geplant sind. Viele davon werden Braunkohle verfeuern. Das sind die größten CO2 - Schleudern, die außerdem noch ganze Landstriche verwüsten. Diese Braunkohlekraftwerke subventionieren Sie sogar noch durch die großzügige Verleihung von Verschmutzungsrechten. Außerdem treiben Sie die Wasserstofftechnik für Autos voran. Wo kommt der Wasserstoff her? Vom Nachtstrom der Atom- und Kohlekraftwerke! Ohne eine Abnahmegarantie für den Nachtstrom können diese Kraftwerkstypen gar nicht weiter ausgebaut werden. So verkaufen Sie etwas als umweltfreundlich, was in Wirklichkeit der Umweltzerstörung dient. Und die Senkung des CO2 - Ausstoßes um 20%, zu der Sie sich verpflichtet haben, werden durch die Stilllegung der alten DDR-Fabriken problemlos erreicht. Das Ganze ist eine einzige Augenwischerei. So ist es nicht verwunderlich, wenn Sie beim Klimaschutz kalte Füße bekommen, weil Ihre Worte und Taten nicht übereinstimmen. Versuchen wir gemeinsam die Kuh vom Eis zu bekommen! Wege dazu gibt es, wie das ödp-Programm zeigt.
Am meisten ärgert mich, dass die Klimakatastrophe dazu benutzt wird, für Atomkraft zu werben. Es ist eine Lüge, dass Kernkraft CO2- frei ist. Bitte lesen Sie die beiden Informationsblätter, die der Bundesvorstand dazu herausgegeben hat. Eine weitere Lüge ist, dass das Ausland AKW baut, und dass Deutschland durch den Ausstieg von der technologischen Entwicklung abgekoppelt wird. In Wirklichkeit wurden seit Beginn des Jahrhunderts in Europa 26 Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet, aber nur zwei, nämlich Temelin 1 und 2, in Betrieb genommen. Allein im vergangenen Jahr wurden 7 Kernkraftwerke stillgelegt.
In wenigen Tagen jährt sich wieder der schreckliche Unfall von Tschernobyl. Die Internationale Atomenergiebehörde hat zwar aufgehört die Lüge zu verbreiten, dass dabei nur wenige Dutzend Menschen zu Tode gekommen seien. Aber das wahre Ausmaß der Katastrophe ist den meisten Menschen immer noch nicht bewusst. Mehrere Hunderttausend Menschen sind schwer erkrankt, viele davon gestorben. Tausende verloren ihre Heimat und leben in großer Armut, weil der Boden um Tschernobyl für immer verstrahlt ist.
Die Klimakatastrophe darf nicht isoliert gesehen werden. Das ödp-Konzept berücksichtigt, dass in spätestens in 15 Jahren das Ende des billigen Öls unsere Wirtschaft in Bedrängnis bringen wird. Dann steht für die Energiewende kein Geld mehr zur Verfügung. Wenn sie bis dahin nicht durchgeführt ist, werden wir einen ungeheueren Zusammenbruch erleben. Deshalb ist es nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern auch des Fortbestands unserer Wirtschaft, dass wir noch heute mit dem Umbau unserer Energieversorgung beginnen.
Leider denken die deutsche Politik und auch die Industrie nur wenige Jahre voraus - die Politik bis zur nächsten Wahl und die Konzerne bis zur Ablösung des Vorstands. So gleicht Deutschland einem Zug von Lemmingen, die im vollem Bewusstsein auf die Küste zulaufen und im Meer ertrinken.
Die ödp ist die einzige Partei, die sich für eine zukunftsfähige Energiepolitik einsetzt. Das &bdquo:Notprogramm zum Ende des billigen Öls”, das auf diesem Parteitag abgestimmt wird, soll den Weg zur schnellen Energiewende weisen. Wir haben darüber hinaus für unsere Mandatsträger Musteranträge formuliert, damit die einzelnen Kommunen Energie sparen und erneuerbare Energien nutzen. Wir halten auch Material für Infostände bereit, damit alle unsere Mitglieder vor Ort aktiv werden können.
Der dritte Schwerpunkt der Arbeit im Bundesvorstand ist die geplante Europäische Verfassung. Vor vier Wochen fanden in Berlin die Feiern zum 50-jährigen Bestehen der Römischen Verträge statt. Aber gibt es wirklich etwas zum Feiern? Das, was in Rom so hoffnungsvoll als Weg in eine friedliche, demokratische Zukunft begann, wird heute in das Gegenteil verkehrt. Die geplante EU-Verfassung ist wohl die einzige Verfassung in der Welt, die ausdrücklich Kriegsgründe festschreibt. Damit sollen auch Angriffskriege gerechtfertigt werden. Die sind zwar nach dem Völkerrecht und nach dem deutschen Grundgesetz verboten und unter Strafe gestellt. Aber Art. I-6 der EU-Verfassung bestimmt, dass das EU-Recht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedsstaaten hat.
Außerdem schafft die geplante EU-Verfassung faktisch die Demokratie in Europa ab: Das Parlament hat kaum Befugnisse. Es kann nicht einmal Gesetzesentwürfe einbringen. In Zukunft wird auch kein Parlament mehr über Krieg und Frieden entscheiden, weder das EU-Parlament, noch ein nationales. Die Macht liegt fast ausschließlich in den Händen der EU-Kommission, die nicht gewählt, sondern von den Konzernsvertretern und den Regierungschefs ausgewählt wird, und die vollständig unter dem Einfluss von 20 000 Lobbyisten (!) steht. Man bedenke: Rund 80% unserer deutschen Gesetze werden auf Grund von Entscheidungen dieser Kommission formuliert. Und der größte Teil davon entsteht in Brüssel unter den Vorgaben von Industrievertretern. Kennzeichen einer Demokratie wäre ein Parlament, das auch die Rechte eines Parlaments hat, und eine Regierung, die vom Volk und nicht von einigen Konzernen und Regierungschefs eingesetzt wird. Wir haben längst aufgehört, eine Demokratie zu sein.
Der Euratomvertrag ist Bestandteil der geplanten EU-Verfassung. Das bedeutet, dass alle Länder, ob sie aus der Atomkraft ausgestiegen sind oder nicht, für die Subvention der Kernkraftwerke zahlen müssen, besonders für die maroden in Osteuropa. Weithin unbekannt ist, dass nach dem Entwurf der EU-Verfassung in Kriegen und bei „Aufruhr”die Todesstrafe erlaubt wird (Titel I Artikel 2 der Erläuterungen zur Charta der Grundrechte). Ist eine Massendemonstration gegen Sozialabbau bereits ein Aufruhr? Die Entscheidung darüber liegt bei der EU-Kommission, die gegen den Willen der Konzerne kaum etwas tun kann.
Angesichts dieser Tatsachen verstehe ich es, wenn bisweilen zwei Drittel unserer Mitbürger nicht mehr wählen gehen. Es ist unsere Aufgabe, auf diese Menschen zuzugehen und sie zu überzeugen: „Es gibt eine Lösung, die Demokratie wieder zur Geltung zu bringen. Diese Lösung sind wir, die ödp.”
Die ödp hat sich nämlich mit anderen Kräften und Organisationen zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen Merkels Pläne anzugehen, die Verfassung doch noch durchzupeitschen. Unsere Veranstaltungen sind bereits in einigen Städten auf großes Interesse gestoßen. Am 16. Juni findet in Frankfurt die zentrale ödp-Tagung zu diesem Thema statt - wenige Tage vor dem Gipfel zum Abschluss der deutschen Ratspräsidentschaft.
Dabei kann uns Mut machen, wie in Frankreich und in Holland die Ablehnung der EU-Verfassung erreicht wurde. Zunächst waren die französischen Medien wie bei uns vollständig für die Verfassung. Die Gegner bekamen kaum eine Plattform, um ihre Einwände bekannt zu machen. Aber durch einen guten Internetauftritt, durch Infostände, unzählige private Gespräche mit Freunden und Nachbarn, und durch einige Prominente siegten die Gegner schließlich doch. Daran müssen wir uns ein Beispiel nehmen. Auch unsere eigenen Erfolge ermutigen uns, weiterhin mit aller Kraft für den Erhalt der Demokratie in Europa zu kämpfen.
Als die ödp vor 25 Jahren gegründet wurde, hofften viele, dass der Schutz unserer Lebensgrundlagen und der Erhalt der Demokratie als Ziel der Politik allgemein anerkannt, und dass damit die ödp überflüssig würde. Leider ist das Gegenteil eingetreten: Die ödp ist so nötig wie noch nie. Und selten waren unsere Chancen so gut wie heute.
Tun wir alles, sogar das Unmögliche, für den Erhalt der Demokratie, für den Erhalt unserer Umwelt, und für unsere Zukunft! Stellen wir sicher, dass diese Welt ein Ort bleibt, auf dem es sich lohnt zu leben.